Wie man die Teilnehmenden beim Dranbleiben bei digitalen Lernstrecken unterstützt und was Fisch damit zu tun hat
Vor wenigen Jahren war ich mit meinen Kindern im Kroatien-Urlaub und es wurde ein klarer Wunsch an mich herangetragen: Fisch sollte gegrillt werden. Im Supermarkt kam mein Sohn mit dem Fisch und sagte: „Das wird jetzt noch spannend.“ Auf meinen Mama-Blick folgte die Erklärung: „Der Fisch ist noch nicht ausgenommen.“ Und nein, da wurde nicht der Mann an der Fischtheke bemüht. Mein Sohn wollte es lernen. Also hat er in der Mini-Küche in Kroatien mit dafür völlig untauglichem Werkzeug und einem YouTube-Video gelernt, wie man einen Fisch ausnimmt. Das gegrillte Ergebnis war wunderbar!
In diesem Fall hatte mein Sohn ein klares Warum und das Know-how-Problem mit YouTube gelöst. Bei diesen – eher kurzfristigen – Themen ist die Motivation sehr oft gegeben.
Wenn es allerdings um längere Lernstrecken geht, ist es für die Lernenden viel schwieriger, am Lernen dranzubleiben und die Motivation hochzuhalten.
Blended Learning und digitale Lernstrecken
In der neuen Welt gibt es zwei Arten von Lernstrecken: Blended Learning und rein digitale Lernstrecken.
Die digitale Lernstrecke besteht aus drei Kategorien: dem E-Learning, dem Kooperativen Online Lernen und dem Live Online Lernen.
- Beim E-Learning „lern i allein“. Daher gehören z. B. Videos, WBTs, Podcasts und Chatbots zu dieser Kategorie.
- Das Kooperative Online Lernen hat den Charme, dass die Teilnehmenden ohne Trainer:in an Themen arbeiten und die Ergebnisse wieder ins Training mitbringen.
- Live Online Lernen bedeutet, dass Teilnehmende und Trainer:in sich gleichzeitig im digitalen Raum treffen.
Beim Aneinanderreihen von unterschiedlichen Arten von digitalem Lernen entstehen die digitalen Lernstrecken. Und wenn man dann noch Präsenztraining untermischt, entsteht das sogenannte Blended Learning.
Meine Erfahrung mit digitalen Lernstrecken
Ich nutze für meine Kund:innen seit 2016 Blended Learning-Konzepte und designe digitale Lernstrecken. Zusätzlich habe ich in den letzten 24 Monaten an einigen digitalen Trainings teilgenommen. Daran war einiges ausgezeichnet, manches in Ordnung und an vielen Stellen gab es Nachholbedarf.
Gerade ein Faktor wurde mir in dieser Zeit bewusst: Wenn die Durchführung oder Teilnahme an einem Training nicht zu einer Verhaltensänderung führt, dann ist auch keine Transferwirksamkeit gegeben. Nur: Was können wir Trainingsdesigner:innen tun, damit unsere Teilnehmenden das Gelernte auch umsetzen?
Unterstützung der Transferwirksamkeit bei digitalen Lernstrecken
Es folgen Lösungsansätze, die ich mithilfe meiner gesammelten Erfahrungen als Teilnehmende, Trainerin und Trainingsdesignerin erarbeitet habe. Sie sind eingeteilt in drei Phasen: Vor, während und nach dem Training.
Vor dem Training
Bevor ein Training beginnt, sollten die Teilnehmenden auf das Training eingestimmt werden. Sie sollten Lust darauf bekommen, aufgeregt und freudig sein und somit motiviert werden.
Das geht zum Beispiel mit einem Goodie-Bag. In meiner Trainingsdesign-Weiterbildung kann da mein Buch, ein Stressball, eine Karte fürs Onlinetraining und ein handgeschriebener Willkommensgruß enthalten sein. Auch Nahrhaftes wie Schokolade, Nüsse, Müsliriegel und Teebeutel dürfen rein. Wichtig ist, dass sich die Teilnehmenden wirklich angesprochen und Willkommen fühlen!
Wer eine Willkommens-E-Mail mit allen Informationen und Vorbereitungsaufgaben für das Training schickt, dem empfehle ich in der Betreffzeile folgenden Zusatz: Thema & [Vorbereitungszeit: xx Minuten, Abgabe Tag xx]. So wird sichergestellt, dass die Vorbereitung gemacht wird und man kann gegebenenfalls nachfassen.
Eines meiner Highlights derzeit ist ein Logistik-Live-Online-Training (kurz LLOT), bei dem ich in 15 bis 30 Minuten die logistischen Eckdaten erläutere und vor allem auf die Notwendigkeit eines Lernprojektes, Use Cases oder das Gespräch mit der Führungskraft hinweise. Führt man dieses LLOT eine Woche vor Trainingsbeginn durch, können sich die Teilnehmenden noch um die ausstehenden To-dos kümmern. Zudem lassen sich die 15 bis 30 Minuten bei fast allen einrichten!
Außerdem erhalten meine Teilnehmenden im Logistik-Live-Online-Training meine Lieblingsinformation: die Learner Journey. Dabei handelt es sich um eine grafische Darstellung, in der alle Beteiligten, die Detailschritte und der Zeitaufwand eines Lernprozesses vor, während und nach dem Training aufgezeigt werden.
Während des Trainings
Das Training an sich sollte so aufgebaut sein, dass die Teilnehmenden am Ball bleiben können und ihre Motivation nicht verlieren.
Es demotiviert mich zum Beispiel wahnsinnig, wenn ich eine Übungsanleitung nicht verstehe. Wer Übungsanleitungen schreibt, sollte diese deshalb dreifach prüfen. Denn meine – leidvolle – Erfahrung hat gezeigt, selbst wenn ich der Meinung bin, dass die Übungsanleitungen glasklar sind, sind die Teilnehmenden dennoch immer wieder verwirrt.
Ich habe inzwischen eine Checkliste mit der ich prüfe, ob ich auch alles durchdacht habe. Dann gehe alles aus Sicht der Teilnehmenden nochmals durch und erkläre die Übung im Training. Als besonders hilfreich hat sich herausgestellt, wenn die Teilnehmenden ein Template bekommen, in das die Ergebnisse eingetragen werden sollen.
Wenn Teilnehmende die Inhalte selbst erarbeiten und im Präsenz- oder Live-Online-Training nur noch üben, nennt man das Flipped Classroom. Dafür sind folgende Dinge besonders wichtig:
- Alles, was vorher erarbeitet wurde (siehe oben), soll aufgegriffen, kurz wiederholt werden und es sollte ausreichend Zeit für Fragen gegeben sein. So geht Wertschätzung für die Vorarbeit der Teilnehmenden!
- Das Lernmaterial sollte gut und klar strukturiert sein. Besonders beeindruckt hat mich eine Weiterbildung, bei der wir für die Vorbereitung ein Dokument mit Spalten bekamen: Lernziele, Art des Mediums und die To-do-Liste. Wenn alles abgehakt war, war man auch vorbereitet für die nächste Session.
Noch eine wichtige Sache: Menschen sind soziale Wesen und benötigen sozialen Kitt!
In all den Jahren als Trainerin hatte ich sehr wenige Teilnehmende, die das Soziale nicht genossen hätten. Das geht auch Online!
Ich trinke mit den Teilnehmenden sehr gerne eine Tasse Kaffee, nämlich 15 Minuten bevor die nächste Lerneinheit beginnt. Und zwar bei jeder Lerneinheit. Da geht es nicht um Trainingsinhalte, sondern um Urlaub und Hobbies und vielleicht auch die eine oder andere aberwitzige Story. Der positive Nebeneffekt: die Teilnehmenden wollen ein bisschen mithören und sind rechtzeitig aus der Pause zurück.
Ein weiteres Highlight für mich ist die Sprechstunde, die ich ursprünglich eingeführt habe, um Teilnehmerfragen auch zwischendurch beantworten zu können. Ja, manche Sprechstunden sind thematisch intensiv, andere sind feiner Austausch. Beides darf und soll sein!
Die Betreuung der Teilnehmenden während der Lernstrecke ist extrem wichtig. Es gilt abzusichern, wer technisch, inhaltlich und auch sozial für die Lernenden da ist. Aus meiner persönlichen Erfahrung ist das schnelle und persönliche Feedback, das zum Lernerfolg beitragen oder völlig demotivieren kann. Wenn alles an Kleingruppen abgegeben wird und keine exakte Rückmeldung zu den Ergebnissen (richtig/falsch) erfolgt, trägt das nicht zum Lernerfolg bei. Es verunsichert und demotiviert.
Ein Beispiel dafür, wie gute Begleitung aussehen kann: Ich selbst liebe die Arbeit mit dem Miro-Board (oder einem vergleichbaren Whiteboard). Die Teilnehmenden können schon während des Trainings an ihrem Projekt arbeiten. Wenn sie im Zuge der Lernstrecke – also in der Zwischenzeit – Fragen haben, werden Post-its am Miro-Board hinterlassen und ich werde über die begleitende Signalgruppe (sozialer Kitt!) informiert. Dann kann ich mir – auch ein bisschen zeitunabhängig und doch so rasch wie möglich – die Fragen ansehen und Feedback dazu geben.
Nach dem Training
… fängt das Training wirklich an – diesen Satz habe ich neulich gelesen und er trifft den Nagel auf den Kopf.
Ja, es ist nichts Neues, wenn ich jetzt sage, dass die Führungskraft wichtig für den Lerntransfer ist. In Zeiten von Blended Learning und digitalen Lernstrecken ist sie fast noch wichtiger. Denn es gilt, Zeit für Lernende freizuschaufeln: für die Trainings, für die Vor- und Nachbereitung und die Lernzeit im Trainingstransfer. Es soll nicht so sein, dass die Teilnehmenden auf die Minute genau ins Live-Online-Training kommen, das Training auf die Minute genau verlassen und bis zum nächsten Termin keine Zeit für Transfer haben!
Am Ende des Trainings kann man gerne eine Teilnahmebestätigung aushändigen, ein Zertifikat sollte es immer nur dann geben, wenn die Teilnehmenden gezeigt haben, dass sie das Gelernte auch umgesetzt haben. Lasst uns mehr Wertigkeit in die Umsetzung des Gelernten bringen und ja, das ist zeitaufwendig und doch so lohnend!
Meine Top bei digitalen Lernstrecken
Wow, so viele Ideen – und jetzt verrate ich noch meine 5 allerliebsten wenn es darum geht, ob ich eine Weiterbildung mache oder designe:
- Ich habe entschieden, dass ich mir genau überlege, WARUM ich eine Weiterbildung machen möchte.
- Wenn ich das Why kenne, möchte ich eine sehr klare Learner Journey. Das heißt eben nicht nur die Anwesenheitszeiten, sondern die Stunden für die Vorbereitung, die Zeit für Peer Group-Treffen und die Abgabe einer Arbeit fürs Zertifikat.
- Jetzt trage ich alle notwendigen Vorbereitungs-, Lern-, Anwesenheits-, und Umsetzungszeiten in meinem Kalender ein. Auf diese Weise kann ich für mich den Transfer besser in Angriff nehmen.
- Ich liebe die Sprechstunde: als Teilnehmerin und Trainerin. Ich werde gerne meine Fragen los und beantworte gerne Fragen. So kann ich als Trainerin auch erkennen, wo ich eventuell unklar war und was ich besser machen kann.
- Der Top Tipp meiner Lieblingskollegin: „Mach es den Teilnehmenden zu leicht, es nicht zu tun!“ Es geht also nicht darum, gleich eine gesamte Trainingsbedarfsanalyse auf dem neuen Canvas auszufüllen, sondern darum, den ersten kleinen Schritt zu definieren. „Lieber Teilnehmender, bitte drucke dir den Canvas aus und lege diesen auf deinen Schreibtisch.“
Ob Blended Learning oder digitale Lernstrecke: Es reicht nicht, eine Lernstrecke aufzusetzen und die Teilnehmenden sich selbst zu überlassen. Auch wenn viel Arbeit in Online Formate geflossen ist, darf das „Menscheln“ nicht zu kurz kommen. Ergebnisse zu besprechen, motiviert dazu, sie zu machen. Zu wissen, wie lange man für etwas brauchen wird, macht es einfacher, sich Zeit dafür zu nehmen. Mal in einer Sprechstunde über den kommenden Urlaub zu quatschen, lockert die Lernatmosphäre. Und all das hat positive Effekte auf die Transferwirksamkeit eines Trainings, das über das Ausnehmen von Fischen hinaus geht!