Mensch und Maschine vereint: Lerntransfer mit Künstlicher Intelligenz

[Dieser Artikel erschien erstmals im Magazin TRAiNiNG und darf nach freundlicher Genehmigung auch hier veröffentlicht werden.]

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Die Zukunft des Lernens wird durch eine Mischung aus künstlicher Intelligenz, Neurowissenschaften und menschlicher Expertise neu definiert – doch wie meistern Unternehmen den entscheidenden Schritt vom Wissen zum Handeln?

Wie können wir sicherstellen, dass das Gelernte nicht nur kurzfristig im Gedächtnis bleibt, sondern nachhaltig in den Arbeitsalltag integriert wird und echten Mehrwert schafft? Darüber denkt die Transferforschung schon seit über 100 Jahren nach. Und die Rahmenbedingungen ändern sich permanent. Künstliche Intelligenz hebt das (betriebliche) Lernen aktuell auf eine völlig neue Stufe. Experten sind sich einig: Der Schlüssel zum Transfer-Erfolg liegt in einem revolutionären Ansatz – einer Symbiose aus künstlicher Intelligenz, neurowissenschaftlichen Erkenntnissen und menschlicher Expertise.

In diesem Artikel hat TRAiNiNG recherchiert und mit Experten gesprochen.

»Ohne Transfer ist alles nix!«, betont Anna Langheiter gleich zu Beginn. Diese prägnante Aussage unterstreicht die zentrale Bedeutung der praktischen Anwendung von Gelerntem. Wenn Unternehmen keine Transfermaßnahmen planen, können sie in den meisten Fällen gleich auf das Seminar verzichten. Doch wie können Unternehmen und Lernende diesen entscheidenden Schritt vom Wissen zum Handeln meistern?

Veronika Aumaier (Geschäftsführerin von Au-maier Coaching & Partner GmbH) hebt die Bedeutung einer klaren, realistischen Zielsetzung hervor: »Eine gut abgestimmte Zielsetzung der Bildungsmaßnahme mit dem Auftraggeber ist ein wesentlicher Faktor für den Bildungserfolg.« Sie warnt jedoch eindringlich vor einem weit verbreiteten Fallstrick: »In der Praxis wird diesbezüglich oftmals zu viel mit zu wenig Ressourcenbereitschaft erwartet: ›Kompetenzzuwachs im Wissen und im Handeln samt Mindset Change beim Individuum und eine verbesserte Zusammenarbeit im Team für alle‹. Das ist zwar alles möglich, aber nicht sofort und gleichzeitig.«

Diese Einsicht deckt sich mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen über die Grenzen unserer kognitiven Kapazitäten. Studien zeigen, dass unser Gehirn Zeit und wiederholte Praxis benötigt, um neue neuronale Verbindungen zu festigen – ein Prozess, der für nachhaltiges Lernen unerlässlich ist. Ein Seminar ist also immer nur eine Maßnahme auf einer längeren Lernreise.

Alexandra Tripolt (CEO bei VBC) bringt einen weiteren entscheidenden Aspekt ins Spiel: die intrinsische Motivation. »Intrinsische Motivation und eine positive Einstellung bilden das Fundament erfolgreichen Lernens«, erklärt sie. »Stellen Sie sicher, dass Mitarbeiter den Nutzen des Gelernten für sich persönlich erkennen – das steigert den Erfolg.« Dieser Ansatz wird durch die Selbstbestimmungstheorie der Motivation gestützt, die besagt, dass intrinsisch motiviertes Lernen zu tieferem Verständnis und besserer Anwendung führt.

Doch selbst bei optimaler Vorbereitung und Motivation bleiben Herausforderungen bestehen. Veronika Aumaier identifiziert eine zentrale Problematik, die viele Unternehmen plagt: »Gelerntes Wissen in die Handlung zu bringen ist aktuell die größte Herausforderung. Wir sind im theoretischen Wissen unseren aktuellen Verhaltensweisen und Handlungen bei weitem voraus.« Diese Kluft zwischen Wissen und Handeln, oft als »Knowing-Doing-Gap« be-zeichnet, ist ein bekanntes Phänomen in der Organisationspsychologie und stellt eine der größten Hürden für effektiven Lerntransfer dar.

Die Trainings-Phasen

Um diese Kluft zu überbrücken, empfehlen die Experten einen ganzheitlichen, mehrstufigen Ansatz. Anna Langheiter betont die Bedeutung der Transferplanung in drei Phasen: vor, während und nach dem Training. »Vor dem Training werden die Teilnehmer gut vorbereitet, damit sie wissen, was an Trainingszeit, Lernzeit und Transferzeit auf sie zukommt«, erklärt sie. Diese Vorbereitung schafft nicht nur Klarheit, sondern aktiviert auch das für das Lernen so wichtige Belohnungssystem im Gehirn, indem es Erwartungen und Ziele setzt.

Alexandra Tripolt ergänzt für diese Phase mit einem Fokus auf die organisatorische Ebene: »Das Wichtigste ist, dass der Lernerfolg bereits vor den Trainingsmaßnahmen eingeleitet wird. Essentiell ist es, mit den Entscheidern und Führungskräften klare Lernziele und Erwartungen zu definieren.« Während des Trainings selbst ist die Praxisnähe entscheidend. Aumaier empfiehlt: »Für nachhaltigen Transfer sind individualisierte Settings in Kleingruppen und Einzelcoachingformat derzeit nicht zu ersetzen. Sie sichern den Praxistransfer durch gemeinsame Reflexionen und Übungen von gewünschten Verhaltensweisen in Programmen von mindestens 3 – 12 Monaten, um sich zu neuen Gewohnheiten nachhaltig zu verankern.« Dieser Ansatz entspricht dem Konzept des »Deliberate Practice« von Anders Ericsson, das besagt, dass gezielte, reflektierte Übung der Schlüssel zur Meisterschaft in jeder Fähigkeit ist.

Alexandra Tripolt stimmt zu und fügt eine praktische Dimension hinzu: »Am besten üben die Teilnehmer direkt an ihren eigenen Praxis- fällen.« Diese Methode, oft als »Action Learning« bezeichnet, verstärkt den Lerntransfer, indem sie die Lücke zwischen Theorie und Praxis unmittelbar schließt. Doch der eigentliche Test kommt nach dem Training. Anna Langheiter: »Nach dem Training braucht es die Möglichkeit, das Gelernte anzuwenden, die Motivation des Teilnehmers und die Unterstützung des Unternehmens.«

Lerntransfer mit Künstlicher Intelligenz

Um den Lernerfolg noch mehr zu steigern, setzen Unternehmen und Bildungsexperten zunehmend auf technologische Unterstützung. Hier kommt die künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel, die den Lerntransfer revolutionieren könnte. Anna Langheiter berichtet von faszinierenden Entwicklungen: »KI-Tools können den Lerntransfer wunderbar unterstützen. So kann man schon im Training mit einem Chatbot arbeiten, mit dem die Teilnehmer z. B. die Einwandsbehandlung üben.« So lernen sie gleichzeitig das neue Tool »Chatbots« kennen und können sich direkt von den Vorteilen dazu überzeugen.

Sie geht sogar noch weiter und beschreibt ein Zukunftsszenario, das die Grenzen zwischen Lernen und Anwendung verschwimmen lässt: »Noch kreativer wird es, wenn die Teilnehmer lernen, mit einem Tool wie ChatGPT zu sprechen, die Situationen selbst zu ›konfigurieren‹ und ins Üben gehen.« Anna Langheiter illustriert die praktische Anwendung mit einem überraschenden Beispiel: »Eine Kollegin hat das Gespräch mit dem pubertierenden 15-jährigen Sohn vorher mit der KI geübt. Und wie wäre es, wenn wir solche Anwendungen für unsere Teilnehmer auch möglich machen?« Technisch ist das heute relativ schnell und leicht umsetzbar.

Auch Veronika Aumaier sieht das Potenzial von KI, insbesondere im Fachkräftebereich: »Technisches Servicepersonal wird bei Reparaturarbeiten schrittweise in der Wartungsarbeit oder Fehlerbeseitigung von KI angeleitet, Auto-Piloten und Assistenzprogramme übernehmen routinemäßige Vorgänge oder Steuerungen im Alleingang, bei Störfällen werden selbstständige – eigens dafür vorgesehene – Protokolle angestoßen, die bewusst ohne Zutun des Menschen durchgeführt werden etc.« Diese Entwicklungen deuten auf eine Zukunft hin, in der KI nicht nur als Lernhilfe, sondern als aktiver Partner in komplexen Arbeitsprozessen fungiert, und gleichzeitig lernt der Mensch.

Alexandra Tripolt berichtet von konkreten Anwendungen, die die Brücke zwischen Training und Praxis schlagen: »Wir motivieren Teilnehmer zur Verwendung von KI-Tools in Rollenspielen oder Coachings, etwa zur Simulation von Verkaufsgesprächen. Das ist besonders bei der Bedarfserhebung und der Vorbereitung auf Kundeneinwände sinnvoll. KI hilft bei der Erstellung firmenspezifischer Fragekataloge. So lernen Teilnehmer KI in ihrem Verkaufsprozess anzuwenden. Das führt zu mehr Verkaufserfolg nach den Trainings!«

Diese Ansätze versprechen, den Lerntransfer zu revolutionieren, indem sie personalisierte, kontextbezogene Lernmöglichkeiten schaffen, die weit über den traditionellen Seminarraum hinausgehen. Und das (fast) kostenlos und 24/7 in allen Sprachen der Welt. Doch trotz dieser technologischen Fortschritte betonen alle Experten, dass der menschliche Faktor weiterhin entscheidend bleibt.

 

Der Faktor Mensch

Veronika Aumaier unterstreicht: »Die Herausforderung für den Menschen – die eigene Entwicklung trotzdem aktiv zu betreiben, um möglichst all seine individuellen Potenziale zur Entfaltung zu bringen – bleibt davon unberührt.« Diese Einsicht erinnert an das Konzept der »Lernagilität«, das in der modernen Arbeitswelt zunehmend an Bedeutung gewinnt. Es beschreibt die Fähigkeit, schnell und flexibel neue Fähigkeiten zu erwerben und anzuwenden – eine Kompetenz, die durch KI unterstützt, aber nicht ersetzt werden kann.

Veronika Aumaier fügt eine wichtige Perspektive hinzu: »Entscheidend ist, dass die Entwicklung aktiv angestoßen wird, ist sie doch nach wie vor im persönlichen Lebensweg über das Empfinden tiefer Zufriedenheit und erfülltem Lebensglück ausschlaggebend.« Diese Aussage unterstreicht, dass effektives Lernen und persönliche Entwicklung nicht nur berufliche Ziele unterstützen, sondern auch zum allgemeinen Wohlbefinden und zur Lebenszufriedenheit beitragen.

Tipps für die Praxis

Um den Lerntransfer in der Praxis zu optimieren, empfehlen die Experten eine Reihe konkreter Strategien. Hier ist eine Zusammenfassung der Expertenmeinungen:

  1. Klare Zielsetzung und Erwartungsmanagement: Alexandra Tripolt betont: »Essenziell ist es, mit den Entscheidern und Führungskräften klare Lernziele und Erwartungen zu definieren. So wissen die Mitarbeiter genau, was sie lernen sollen und wie sie das Wissen später anwenden.«
  2. Praxisnahe Trainingsgestaltung: »Trainingsinhalte schneidet man auf die Branche, die Produkte, die Dienstleistung oder die internen Prozesse zu«, erklärt Tripolt. Dies erhöht die Relevanz und erleichtert den Transfer.
  3. Kontinuierliche Lernimpulse: »Lernen ist kein einmaliges Erlebnis!«, betont Tripolt. »Kontinuierliche Impulse und regelmäßiges Feedback sind nötig, um das Wissen zu vertiefen.«
  4. Führungskräfte als Vorbilder: Tripolt empfiehlt: »Führungskräfte sollten als Vorbilder agieren, das Gelernte selbst anwenden und ihre Mitarbeiter motivieren.«
  5. Schaffung von Anwendungsmöglichkeiten: Anna Langheiter betont die Wichtigkeit der »Anwendungsmöglichkeit im Unternehmen: darf, kann und soll der Teilnehmer das Gelernte anwenden?«
  6. Berücksichtigung der persönlichen Transferkapazität: Anna Langheiter hinterfragt immer: »Hat der Teilnehmer beruflich und/oder privat die Kapazität, das Gelernte anzuwenden?«
  7. Peer-Learning und Unterstützung: Anna Langheiter empfiehlt die »Unterstützung durch Peers« als wichtigen Faktor für erfolgreichen Lerntransfer.
  8. Etablierung einer Transferkultur: Langheiter spricht von der »Transfererwartung im Unternehmen: Ist es dem Unternehmen wichtig, dass sich etwas ändert? Wird das gemessen und be- lohnt?«
  9. Einsatz von KI-Tools: Alle Experten betonen das Potenzial von KI zur Unterstützung des Lerntransfers, sei es durch Simulationen, personalisierte Übungen oder Just-in-Time-Unterstützung am Arbeitsplatz.
  10. Langfristige Begleitung: Veronika Aumaier empfiehlt »Programme von mindestens 3 bis 12 Monaten, um sich zu neuen Gewohnheiten nachhaltig zu verankern.«
  11. Micro-Learning: Veronika Aumaier deutet auf die Bedeutung von kleinen, verdaubaren Lerneinheiten hin: »Gelerntes Wissen oder neu entwickelte Verhaltensweisen brauchen die Notwendigkeit der täglichen Anwendung.« Micro-Learning-Ansätze können helfen, Wissen in den Arbeitsalltag zu integrieren.
  12. Adaptive Lernsysteme: Mit Hilfe von KI können Lerninhalte und -methoden in Echtzeit an die Bedürfnisse und den Fortschritt des Lernenden angepasst werden. Dies ermöglicht eine hochgradig personalisierte Lernerfahrung.

 

Fazit

Mit den richtigen Strategien und Tools können Trainer und Unternehmen sicherstellen, dass jede Lernerfahrung zu einem nachhaltigen Bildungserfolg wird – zum Nutzen von Individuen, Unternehmen und der Gesellschaft als Ganzes. Der Bildungserfolg liegt in einer geschickten Kombination aus menschlicher Expertise, technologischer Innovation und einem Verständnis für die Mechanismen des Lernens.

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